Niedriger Aufwand schlägt große Wahl um Längen

aka : Warum unsere TV-Fernbedienungen mehr Knöpfe haben als wir benutzen

Da meint es jemand richtig gut mit uns: alles was (technisch) möglich ist wird uns in die Hand gedrückt. Fähige Produktentwickler:innen zeigen uns, was sie können – und die beste aller Fernbedienungen oder besser gesagt: die ausgefinkeltste – liegt bei uns im Wohnzimmer. Dabei wollen wir doch nur den Sender und die Lautstärke auswählen. Macht das Angebot der vielen Knöpfe die Bedienung für uns leichter? Wird das Produkt dadurch besser? Steigt die Customer Experience?

Jetzt bist du vielleicht nicht im Fernbedienungs-Business. Wie sieht es aber mit der Auswahl der Kontaktkanäle aus, die du deinen Kunden und Kundinnen anbietest? Vielleicht planst du in Zukunft noch ein paar mehr … Live-Chat, Messenger-Apps, Videoanrufe, Chatbots, ein Kundenportal, E-Ticketsysteme, … natürlich zusätzlich zu den fünf Kanälen, die ihr ohnehin schon betreibt. Alles nur, um es für Kunden noch besser und einfacher zu machen. Wirklich?

Und die Falle schnappt zu: denn was Kunden wirklich glücklich macht ist nicht die Auswahl, sondern der geringe Aufwand.

Erlebe es selbst mit der nachfolgenden kleinen Restaurant-Geschichte und erfahre mit den vier Guidance-Kategorien, wie du es für deine Kunden und Kundinnen möglichst einfach machst und nicht in die Falle tappst … und so geht’s …

Effortless Experience ist die Devise

Wir bemerken derzeit einen ungeheuren Wildwuchs an Kanälen, die Unternehmen glauben anbieten zu müssen. Einfach, weil es technisch möglich ist. Das trifft auch für den Ausbau der Social-Media Kanäle zu oder für die Vielfalt an Produkt- und Serviceangeboten. Wir tun es, einfach weil wir es können. Und da unterscheiden wir uns kaum von den Fernbedienungstechniker:innen. Dabei machen wir die Kunden anders viel glücklicher: wenn wir es für sie müheloser machen (effortless) und weniger komplex. Weniger Aufwand für Kunden führt zu mehr Experience und Kaufabschlüssen! Wahrscheinlich hast du schon mal vom Marmeladenglas-Experiment gehört – ein Klassiker der Verkaufspsychologie: 24 Sorten und 2% Kundenkäufe. 6 Sorten und 12% Käufe. Kunden erstarren entscheidungs-ohnmächtig ob der Vielfalt. Aber es hat trotzdem jemand gut gemeint.

Welche Option würdest du selbst wählen?

Du bist auf Urlaub (seufz, vielleicht gerade erst vorbei ☹) in einer fremden Stadt und möchtest am Abend gut essen gehen. Du fragst an der Hotelrezeption nach einer Restaurantempfehlung.
Welche der nachfolgenden drei Antworten würdest du dir wünschen?

1. Gerne helfe ich Ihnen weiter. Ich habe das perfekte Restaurant für Sie. Ich lasse Ihnen sofort ein Taxi kommen, das Sie hinbringt.

2. Ja, gerne. Ich habe hier eine Liste mit sechs sehr guten Restaurants. Hier stehen auch noch überall ein paar Infos dabei. Fragen Sie mich gerne, wenn Sie noch weitere Fragen dazu haben.

3. Ich freue mich, wenn ich Ihnen helfen kann. Darf ich zuerst fragen, welchen Abend Sie planen? Ist es ein Familien- oder ein Geschäftsessen? Okay, … hmmm, danke. Also jetzt wo ich das weiß kann ich Ihnen zwei Restaurants sehr empfehlen. Das erste ist mein absoluter persönlicher Favorit.

Wahrscheinlich geht es dir wie den meisten von uns: Option 3 empfinden wir serviceorientiert, aufmerksam, freundlich und macht es uns einfach – ohne uns zu sehr einzuschränken! Es ist ein großer Unterschied zwischen

  • „Sag dem Kunden, was er/sie tun sollte“ (einengend bevormundend, kontrollierend) oder
  • „Unterstütze und berate den Kunden, leite ihn an“ – anders ausgedrückt:

“to tell” versus “to guide”

Customer Guidance spielt in der Customer Experience eine große Rolle – unsere Top Service Österreich Ergebnisse zeigen seit Jahren einen sehr ausgeprägten Trend dafür an.

Vier Wege, um den Kunden anzuleiten:

  1. Unternehmensbezogene Guidance (Anleitung, Beratung):
    Die Optionen, die du deinen Kunden anbietest, orientieren sich an den Kategorien bzw. Strukturen, die bei euch im Unternehmen vorherrschen. Wenn die Abteilung lt. Organigramm „Digitale Services“ heißt, dann bietet ihr auch auf der Webseite digitale Services an.
    Mögliche Falle: Versteht der Kunde, was sich dahinter verbirgt?
  2. Kanalbezogene Guidance:
    Die angebotenen Optionen beziehen sich auf den jeweiligen (Service-)Kanal oder die App bzw. Portal, die der Kunden nutzt: z.B. Servicehotline für das Kundenportal.
    Mögliche Falle: man denkt abgeschottet im jeweiligen Kanal – und nicht, welcher Kanal für die jeweilige Kundenanforderung tatsächlich einfach wäre. Ergebnisse sind oft unnötiges Channel-Switching (was wiederum sehr viel Servicecalls nach sich zieht)
  3. Peer-bezogene Guidance (andere Kunden bzw. Verwender:innen)
    Du bietest an gemäß: „Andere Kunden mit ähnlichem Profil haben auch gekauft …“. Wir alle kennen das Unternehmen, das dies einzigartig einfach praktiziert.
    Mögliche Falle: auch Algorithmen können irren, manchmal werden neue Bedürfnisse nicht ausreichend berücksichtigt (was entgeht mir, wenn Netflix mir diese tolle Serie gar nicht vorschlägt?)
  4. Kundenaufgaben-bezogene Guidance
    Hier werden die angebotenen Optionen auf Basis der Kundenbedürfnisse und erforderlichen Serviceinteraktion ausgerichtet. Z.B.: für diese Art der Anfrage/Problem empfehlen wir dir ein Mail zu schreiben (weil das erforderliche Dokument dann mitgesendet werden kann. Ein Anruf mündet nur in einen weiteren Serviceschritt – weil eben das Dokument benötigt wird.)
    Mögliche Falle bzw. Herausforderung: die Kundenbedürfnisse müssen bekannt sein. Siehe auch die Antwort 3 aus der Hotelrezeption.

Unsere Empfehlung
Natürlich haben alle vier Kategorien ihre Berechtigung. Als aufmerksame/r Leser:in dieses Artikels wird dich aber nicht verwundern, dass unser CX-Herz für die vierte Kategorie schlägt! Sie wird tatsächlich auch in Studien von Kunden als beste bewertet: hier erkennen Kunden mit 66% den niedrigsten Aufwand für sich selbst* – und damit zeigt sich:
Niedriger Aufwand schlägt große Auswahl um Längen!

Übrigens gibt es auch eine aussagekräftige Kennzahl dafür: den Customer Effort Score – der bei unseren Top-Service-Österreich-Auswertungen inkludiert ist.

Und wenn du Lust auf mehr CX-Know-how hast empfehlen wir dir unseren online CX21-Kurs – Einstieg jederzeit möglich!

*Beispiel aus: The Effortless Experience: Conquering the battleground for Customer Loyalty, Matthew Dixon et al.

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