Wie gelingen maßgeschneiderte und personalisierte Angebote auch ohne Schneider:in zu sein?
Mein Urgroßvater war der letzte k&k Hofschneider. Als kleines Mädchen konnte ich in einem Fundus aus Borten, Spitzen, Knöpfen und feinen Stoffresten Prinzessin spielen. Aus dem Berufswunsch Prinzessin ist nichts geworden – stattdessen CX-Coach. Aber die beiden Berufe sind sich gar nicht so unähnlich, finde ich. In diesem Artikel findest du vier Beispiele und ein Modell zum sofortigen Reflektieren und Anwenden – so wirst du zum:r CX-Maßschneiderer:in.
Uropa musste Maß nehmen, um seinen Kundinnen die schönsten Ballkleider auf den Leib zu schneidern, ihre Daten für die nächste Ballrobe speichern und natürlich ihre Vorlieben kennen. Nur so kamen sie wieder in sein Atelier in die Herrengasse. Ganz ohne KI oder Digitalisierung. Heute sollte es uns allen also viel leichter fallen, Produkte und Angebote nach allen Regeln der CX-Kunst maßzuschneidern.
Wie kommen wir im Zeitalter der Massenfertigung zu Mass Customization? Wie können wir jedem Kunden genau das geben, was er will? Ist das überhaupt möglich? Und wenn ja, wie? Wir haben vier Beispiele für dich vorbereitet, die dir zeigen: Ja, es geht! Und es zahlt sich zu 100% für die Kundenbegeisterung aus. Lass‘ dich von unseren Beispielen inspirieren.
Beispiel 1: Kraftwerke, IT-Lösungen, Anlagenbau
Ein Kollege von der Uni erzählt mir von seinem Job im Kraftwerksbau. Als er hört, was ich mache, meint er: „Bei uns bedeutet CX, dass wir genau hinhören müssen was der Kunde braucht, denn das Produkt an sich gibt es noch gar nicht – wir fertigen es gemeinsam mit dem Kunden.“ In der Konzeption eines CX-Konzeptes für einen unserer Kunden aus der IT-Branche war es ganz ähnlich: Die IT-Lösung gibt’s nicht von der Stange. Wo findet CX in diesen Beispielen statt? Im Prozess, im Austausch mit dem Kunden, um die Angebote zu kreieren und gemeinsam den Bedarf zu erforschen. Der Kunde ist in den Entstehungsprozess mit eingebunden – das macht die Customer Experience aus.
Beispiel 2: Lampen, Mode und Baumärkte
Neulich suchte ich eine Lampe für mein Esszimmer. Ich war schnell überfordert: warmes Licht, kaltes Licht? LED oder andere Leuchtmittel? Energieverbrauch und Smart-Home-Anbindung? Mir wäre kein Licht aufgegangen, hätte mich die Website nicht gut an die Hand genommen: Auswahlkriterien, Erklärungen, Schieberegler, Tipps, Beispiele, Konfigurator etc. Am Ende habe ich meine perfekte Lampe gefunden. Ich hatte das Gefühl, sie wäre „wie für mich gemacht“. Der Anbieter hat so viele Produkte, dass ich mich als Kundin kaum zurechtfinden kann. Die CX entsteht im Experimentieren mit den unterschiedlichen Interaktionen auf der Website und am Ende im Finden „meiner Lampe“ inmitten von tausenden Angeboten. So könnte es uns auch beim Suchen eines DIY-Gerätes oder eines
Kleides für die nächste Party gehen. Und natürlich kann ein geschulter Verkäufer:in das am POS ebenso gut erledigen – CX entsteht in diesem Beispiel nicht nur online.
Beispiel 3: Kaffeehäferln, Polster und T-Shirts – it’s about us
Beim Schreiben des Artikels ein Schluckerl Kaffee. Das Kaffeehäferl stammt aus der Schulzeit meines Sohnes – ein Mama-Spruch darauf. Ein sehr maßgeschneidertes Produkt – wobei das Produkt eigentlich fix ist, aber die Präsentation bzw. Ausführung sehr persönlich – die Kombi gibt mir als Kundin das Gefühl: „Nur für mich gemacht“. Übrigens auch das T-Shirt aus dem Hard Rock Cafe in Barcelona oder der Polster, den Oma mal zu Weihnachten bekommen hat. Wir alle erfreuen uns an solchen Produkten, die eigentlich von der Stange sind – aber dennoch einen persönlichen Twist enthalten.
Das funktioniert aber nicht nur mit Geschenkartikeln. Wenn du beim Online
Fashionanbieter About You bestellst, wird daraus About Alexandra – About „dein Name“. Deren Umsatz hat sich innerhalb kürzester Zeit verzehnfacht – in einem äußerst hart umkämpften Markt. Das kann Customer Experience! Übrigens: sie schreiben es auch selbst auf der Webseite: „Deine neue Fashion Experience“. Das gleiche Prinzip hatte IKEA angewendet (als es noch IKEA Kataloge gab): man konnte sich einen personalisierten IKEA- Katalog mit dem eigenen Namen drucken lassen. Der Kunde erfreut sich persönlicher Produkte, die erst im letzten Schritt persönlich werden – aus Massenfertigung wird Mass Customization.
Beispiel 4: Hotels, Kundenportale und aufmerksames Personal
Vor Kurzem suchte ich für einen Kurzurlaub in Österreich ein Hotel an einem See. Dabei erinnerte ich mich an ein tolles Hotel, welches wir oft besucht hatten, als unsere Kinder noch klein waren. Ich rief also an und nach Nennung meines Namens sagte die Dame an der Rezeption doch glatt: Wie geht es denn „Name-Tochter“ und „Name-Sohn“? Wohlgemerkt: seit dem letzten Besuch der Kinder dort und meinem Anruf liegen locker 15 Jahre. Ich war so verdattert, dass ich ins Stottern kam. Den Urlaub haben wir dort gebucht – eh klar, oder?
Im Mittelpunkt stehen hier lernende Systeme, die es z.B. Hotels ermöglichen, immer mehr Infos ihrer Kunden zu entdecken und zu sammeln und damit die Customer Experience zu erhöhen. Ein Ansatz, den auch Netflix oder Amazon intensiv verfolgen. Aber es geht auch bei kleinen Hotels in Österreich, wie das Beispiel beweist. Die Angebotspräsentation ist fix – die Zimmer verändern sich nicht im Hotel. Aber die angebotenen Produkte sehr wohl – aus dem Familienzimmer wird ein Doppelzimmer im Adults-Only-Bereich.
Die Customer Experience Wissenschaft hat dafür ein wunderbares Modell, um Mass Customization zu erklären:
Quadrant 1: Exploring Experiences: CX entsteht durch gemeinsames Erforschen
Produkte sind veränderbar, die Präsentation der Angebote ebenso: Es gibt oft keine Prospekte oder genaue Beschreibungen. Oftmals arbeiten Unternehmen in der Präsentation mit Case Studies oder Referenzen. Das benötigte Produkt wird gemeinsam mit dem Kunden in der Zusammenarbeit erforscht.
CX-Schwerpunkte in der Exploring Experience: Gute Prozessbegleitung, langfristige Zusammenarbeit, Services kommen eher bei der Produktanwendung und im Aufbau einer langfristigen After-Sales-Beziehung zum Tragen. Chancen entstehen durch Ausweitung des Kernproduktes auf ergänzende Services rund um das Kernangebot.
Quadrant 2: Experimenting Experiences: CX entsteht durch Interaktionen des Kunden
Produkte sind fix und die Angebotspräsentation ist auch fix. Für eine Vielzahl von Angeboten gibt es Beschreibungen, techn. Daten, Anwendungsbeispiele, Verpackungen. Für jedes Produkt sind mehrere Fotos, Abmessungen und Spezifikationen hinterlegt. Damit der Kunde das für ihn passende Angebot erhalten kann, braucht er Hilfestellungen – und nähert sich so dem passenden Produkt immer weiter an.
CX-Schwerpunkte in der Experimenting Experience: Unterstützung beim Auswahl- und Suchprozess, Ermöglichung von Interaktionen, um Kunden zum passenden Produkt „zu führen“ – im Idealfall: Sammlung der Daten, um viel von den Anfragen der Kunden zu lernen und in weiterer Folge noch gezielter zu customizen.
Quadrant 3: Pleasing Experiences: CX entsteht durch individualisierte Massenprodukte
Produkte sind fix – aber die Angebotspräsentation ist veränderbar. So erfreut man den Kunden mit individuellen Angeboten. Funktioniert mit kleinen und großen Produktpaletten gleichermaßen – der Prozess der Individualisierung ist die Herausforderung für das Unternehmen. Je mehr möglich ist für den Kunden und je besser er das fertige Produkt im Voraus erkennen kann, desto besser die Customer Experience.
CX-Schwerpunkte in der Pleasing Experience: Konfiguration und Sichtbarmachung des Endproduktes – oft hoher techn. Aufwand für die Produktion (aber in Zeiten von KI immer einfacher).
Quadrant 4: Discovering Experience: CX entsteht durch Sammeln der Kundenbedürfnisse
Produkte sind veränderbar – die Angebotspräsentation ist fix. Ein Unternehmen wählt aus einer fixen Angebotspräsentation (Netflix Serien, Hotelzimmer) jene Angebote aus, die am besten zu den Kundenbedürfnissen passen – aus Kundensicht erhält man ein maßgeschneidertes Produkt. Das Produkt wandelt sich mit dem Wissen über die Kundenbedürfnisse. CX-Schwerpunkte in der Discovering Experience: Einsatz von lernenden Systemen (zB CRM), Sammlung von Interaktionsdaten auf eigenen Channels (owned media), gut geeignet für wiederkehrende Kunden und zum Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen.
Uropa hätte das alles wahrscheinlich gewusst, wenn auch anders ausgedrückt 😊! Wie gehst du mit Customer Experience um? Wie schafft dein Unternehmen Erlebnisse durch Mass Customization? Ein strukturiertes Nachdenken mit diesem Modell hilft dir, um neue Ansätze zu finden.
Am Ende noch ein kurzes Gedankenspiel:
- In welchen Quadranten würdest du das Beispiel mit dem Kraftwerk einordnen?
- Wo das Kaffeehäferl?
- Wo das Hotelzimmer?
- Wo die Lampen?
- Und wo eure Angebote? In welchen Quadranten ist dein Unternehmen angesiedelt?
- Und wo könntet ihr euch noch weiterentwickeln?
Viel Freude beim Reflektieren und Entdecken neuer CX-Chancen! Und wenn du noch mehr Anregungen zu Customer Experience möchtest – dann wartet unser CX21 Online Kurs auf dich zum Exploring, Discovering, Pleasing und Experimenting. Hier findest du alle Infos: